Drei Jahrzehnte lang war der Mond nahezu vergessen. Seit der letzten Apollo-Mission 1972, nach der die USA ihr Mondforschungsprogramm abrupt beendeten, gab es nur wenige unbemannte Forschungsmissionen zum Erdtrabanten, das Interesse der Raumfahrtagenturen war eher gering. Doch inzwischen hat der Mond wieder Hochkonjunktur. Die USA, Russland, China und Indien - sie alle möchten zum Mond und haben sich in den vergangenen zwei Jahren geradezu darin überschlagen, öffentlich ehrgeizige Mondfahrtpläne zu verkünden.
Der neueste Mondlandungsplan - vor wenigen Tagen angekündigt - stammt von der Nasa. Um das Jahr 2020 herum will die US-Raumfahrtagentur für jeweils eine Woche Astronauten zum Mond entsenden, ab 2024 sollen Mannschaften folgen, die zu halbjährigen Missionen in eine Mondstation fliegen. Errichtet werden soll sie an einem der beiden Mondpole, wahrscheinlich am Südpol. Bereits 2008 soll die Mondsonde Lunar Robotic Orbiter den bestmöglichen Ort für eine solche Station auskundschaften, möglicherweise noch bis Ende des Jahrzehnts sollen dann ein oder mehrere Landeroboter das Terrain vor Ort erforschen.
Zugleich arbeitet die Nasa an ihrer neuen Ares-Trägerrakete für Astronautenflüge sowie an der Raumkapsel Orion, die nach dem Auslaufen des Shuttle-Programms 2010 zum Einsatz kommen sollen. Ein erster Flug mit Astronauten ist für 2014 vorgesehen. Für die ab 2020 beginnenden Mondflüge wird ein Mond-Lande- und Startmodul separat in eine Erdumlaufbahn gebracht. Das Modul und die Orion-Raumkapsel sollen von dort aus gemeinsam zum Mond fliegen.
Soweit die Eckdaten des Planes. Ausgearbeitet hat ihn die Nasa nach den Vorgaben von US-Präsident Bush, der vor zwei Jahren eine Rückkehr der USA zum Mond und bemannte Flüge zum Mars als langfristige Ziele setzte. So sehr die Nasa sich vergangene Woche bemühte, ernsthaft zu klingen, so viele Fragen sind offen.
Noch existieren zum Plan nicht mehr als bunte Bilder und halbfertige Konzeptstudien, die Finanzierung ist ungeklärt. Vor allem aber: Warum Menschen für hunderte Milliarden Dollar Steuergelder auf den Mond sollen - außer neue Raumfahrtabenteuer und die dazugehörige Technologie zu erproben -, konnte die Nasa bisher nicht überzeugend beantworten.
Am leichtesten dürfte die Nasa die technologischen Anforderungen für Kurzzeitflüge zum Mond bewältigen. Die USA wollen weiterhin die führende Raumfahrtnation bleiben und müssen also nach dem Ende des Shuttle-Programms zwangsläufig ein neues Raumfahrt-Transportsystem entwickeln. Dabei setzt die US-Raumfahrtagentur nicht mehr auf neue Konzepte wie beim Shuttle, sondern ganz auf Tradition. Die Ares-Trägerraketen wie auch die Orion-Raumkapsel basieren auf seit Jahrzehnten erprobter und üblicher Technologie. Neu ist lediglich, dass Kapsel und Mond-Lande- und Rückkehrmodul separat in eine Erdumlaufbahn gebracht werden und erst dann, nach dem Docken, gemeinsam zum Mond fliegen.
Weitaus schwieriger dürfte sich der Bau einer Mondstation für Langzeitaufenthalte gestalten. Dabei ist das Problem, die Module einer Station sowie andere Ausrüstung auf den Mond zu transportieren, noch das Geringste. Bisher gibt es keine erprobte Technologie dafür, wie Astronauten bei Langzeitaufenthalten im All außerhalb der schützenden Magnetosphäre der Erde, also außerhalb niedriger Erdumlaufbahnen, vor schädlichen Strahlen geschützt werden können - und der sind sie auf dem Mond komplett ausgesetzt.
Zudem: Regelmäßige Versorgungsflüge wie zur Internationalen Raumstation wird es höchstens in eingeschränktem Maße geben. Rohstoffe für die Versorgung der Mannschaft etwa mit Sauerstoff müssten wahrscheinlich aus Ressourcen gewonnen werden, die auf dem Mond vorhanden sind. Doch welche Ressourcen es auf dem Mond genau gibt, ob etwa die Krater am Südpol Wassereis enthalten, weiß bisher niemand.
Mit entsprechender Finanzierung könnten viele logistische und technologische Probleme gelöst werden. Doch schon jetzt ist klar, dass die USA allein das Projekt Mondstation nicht finanzieren können und wollen. Die durch die Shuttle-Ausmusterung freiwerdenden Mittel reichen nicht zu viel mehr aus, als das neue Raumfahrttransportsystem zu entwickeln und seinen Betrieb zu finanzieren.
Die Nasa hat deshalb mit insgesamt 13 Raumfahrtagenturen aus aller Welt - von Europa über Russland, Indien, China bis nach Japan und Südkorea - Gespräche über eine Beteiligung an dem Projekt Mondstation geführt. Bisher signalisierte öffentlich lediglich Russland Interesse, unter der Bedingung, dass es gleichberechtigter Partner der USA werde. Die Nasa will außerdem - erstmals in ihrer Geschichte - private Investoren für das Projekt gewinnen.
Die Kosten dafür dürften bei einem Vielfachen des Projektes ISS liegen, dass geschätzte 80 bis 100 Milliarden Dollar kostet. Und es dürfte der Öffentlichkeit in der USA wie auch anderswo schwierig zu vermitteln sein, welchen Nutzen sie von einer Mondstation hat. Die ISS - von den beteiligten Raumfahrtagenturen als Projekt zum Nutzen der Menschheit und der Verbesserung des Lebens auf der Erde gepriesen - dreht sich fast ausschließlich um Raumfahrt selbst: hauptsächlich um Erprobung von Raumfahrttechnologie und Forschung im Bereich der Raumfahrtmedizin.
Die Gründe, die die Nasa für eine Mondstation nennt, klingen mehr als vage und nach nichts irgendwie Notwendigem oder Nützlichen, selbst wenn man großzügige Maßstäbe anlegt: globale Partnerschaft, Begeisterung der Öffentlichkeit für ambitionierte Raumfahrtprojekte, ökonomische Expansion über die Erde hinaus, Technologietests für künftige Raumfahrtprojekte, Erforschung des Mondes und schließlich Vorbereitung für eine Besiedlung des Mondes.
Konkret ließen sich als gewichtigste Gründe noch die Erforschung des Mondes und die Nutzung seiner erdabgewandten Seite als Ort für astronomische Teleskope anführen. Beides wäre bereits nach heutigem Stand der Technik auch mit Sonden, Robotern bzw. ferngesteuert machbar. Hingegen ließen sich von den Kosten einer bemannten Mondstation Dutzende anderer Forschungvorhaben finanzieren: von riesigen Teilchenbeschleunigern über neue Antriebe für die unbemannte Raumfahrt bis hin zu Raumsonden und Robotern für alle Bereiche des Sonennsystem und darüber hinaus.
Bemannte Raumfahrt ist ein spannendes, faszinierendes Abenteuer. Sie ist auch etwas, mit dem Großmächte Macht und Geltungssucht demonstrieren, und letztlich ein kostspieliger Extremsport, der staatlich finanziert wird. Ein Extremsport, der manchmal zu Tragödien führt, die kein Steuerzahler bestellt hat. Das Überleben oder Wohlergehen der Menschheit hängt nicht von bemannter Raumfahrt ab. Die Erde kann vor Asteroiden auf Kollisionskurs vermutlich besser mit der Technologie unbemannter Raumfahrt geschützt werden als mit Bruce-Willis-Szenarien, und die Menschheit kann und muss das Weltall nicht besiedeln, jedenfalls einstweilen noch nicht.
Es wäre an der Zeit, die Finanzierung von Raumfahrt-Extremsport schrittweise denjenigen Privatleuten zu überlassen, die ihn sich leisten wollen. Die ersten, vielversprechenden Ansätze privater Raumfahrt gibt es bereits. Die erste private Raumstation könnte Wirklichkeit werden, bevor die ISS ausgemustert wird. Warum nicht auch privat auf den Mond? Wenn private Raumfahrer dabei auch noch den einen oder anderen wissenschaftlichen Nutzen erbringen wollen - zum Beispiel eigenhändig ein Teleskop auf der Rückseite des Mondes aufzustellen oder Helium-3 zu synthetisieren -, haben sie das Privileg, dafür in die Raumfahrt- und Wissenschaftsgeschichte einzugehen.
Quelle :
www.heise.de