Autor Thema: Ausweitung der Datenspeicherung für TK-Überwachung gefordert  (Gelesen 39316 mal)

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Vorratsdatenspeicherung 2.0: Grundrechtsverletzung mit Zuckerguss
« Antwort #465 am: 19 Mai, 2015, 19:45 »
Justizminister Maas stellt am Dienstag den Entwurf zur "Speicherpflicht für Verkehrsdaten“ vor. Ein Frontalangriff auf die Freiheit – oder ein grundrechtsschonendes Instrument? Verfassungsrechtler Ulf Buermeyer bewertet den Entwurf für heise online.

Diesmal soll der Schuss wirklich sitzen: Das Bundesverfassungsgericht hat Version 1.0 der deutschen Regelung zur Vorratsdatenspeicherung 2010 verworfen, 2014 hat der Europäische Gerichtshof auch die zugrundeliegende Richtlinie gekippt. Nun möchte die Große Koalition aus CDU und SPD mit ihrem neuen Anlauf alles richtig machen.

Auf den ersten Blick haben die Autorinnen und Autoren aus dem Justizministerium solide Arbeit abgeliefert. In zahlreichen Vorschriften haben sie detaillierte Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts aufgenommen, mitunter gar per Copy & Paste. Vor allem das Thema Datensicherheit der Vorratsdaten bei den ca. 1000 verpflichteten Providern nimmt breiten Raum ein. Gleichwohl wird der Entwurf massiv kritisiert – zu Recht. Die Tücken liegen sowohl in den Details als auch in der Grundsatzentscheidung "pro VDS“.

Grundrechte zähneknirschend geachtet

Mit Händen ist zu greifen, dass der schwarz-rote Vorschlag wiederum Grundrechte nur gerade so weit schützen will, wie es Karlsruhe und Luxemburg zwingend verlangt haben. So schrammt der Entwurf konsequent an der Leitplanke dessen entlang, was die Gerichte gerade noch für zulässig gehalten haben. Es entsteht der Eindruck, als würden Grundrechte allenfalls zähneknirschend geachtet, von einer ehrlichen Abwägung zwischen den "Bedürfnissen einer wirksamen Strafrechtspflege“, wie das BVerfG formuliert, und den Freiheitsrechten der Bürgerinnen und Bürger ist hingegen nur wenig zu spüren – am ehesten noch bei der 4-Wochen-Frist für die Speicherung von Standortdaten.

Diese wenig grundrechtsfreundliche Grundhaltung zeigt sich in vielen Details: So ist der Abruf von Verkehrsdaten wie etwa Handy-Verbindungen und Standortdaten im Entwurf zwar eigentlich differenziert geregelt – nach einem Absatz sollen „sowieso“ bei Providern gespeicherte Daten abgerufen werden dürfen, nach einem anderen Absatz unter strengeren Voraussetzungen auch die Vorratsdaten. Der erste Absatz verweist allerdings auf eine weitere Verweisung, auf „andere gesetzliche Vorschriften“. Prompt fürchtete etwa der AK Vorrat, dass dieses Pingpong-Spiel des Gesetzgebers am Ende auch Vorratsdaten erfassen könnte. Das dürfte zwar letztlich nicht zutreffen – aber wem der Schutz der Grundrechte wirklich am Herzen liegt, der sollte so zentrale Fragen wie den Abruf der Vorratsdaten eindeutiger regeln.

Heißes Eisen Richtervorbehalt

Ein weiteres heißes Eisen: der Richtervorbehalt. Ja, über den direkten Abruf von Vorratsdaten soll stets ein Gericht entscheiden. In den meisten Fällen, in denen Vorratsdaten eine Rolle spielen werden, soll das aber nicht gelten: Wenn die Polizei wissen möchte, wer zu einem bestimmten Zeitpunkt eine IP-Adresse genutzt hat, dann muss der Provider unter Rückgriff auf Vorratsdaten Auskunft geben – auch bei noch so geringfügigen Tatvorwürfen wie etwa Beleidigungen in einem Online-Forum. Hier sieht der Entwurf weder einen Richtervorbehalt noch eine Beschränkung auf erhebliche Straftaten vor. Zwar hatte das BVerfG diesen Freifahrtschein für die sogenannte Bestandsdatenabfrage in seinem Urteil von 2010 selbst ausgestellt. Es hat aber schon 2012 festgestellt, dass auch bei solchen Abfragen in das Telekommunikationsgeheimnis eingegriffen wird – der Entwurf übergeht dies.

Gravierender als die Kritik im Detail wiegen allerdings grundsätzliche Bedenken gegen eine anlasslose Speicherung im Hinblick auf ihre Verhältnismäßigkeit und die sogenannte "Überwachungs-Gesamtrechnung“. Letztere bedeutet nach dem BVerfG, dass der Gesetzgeber bei einer Entscheidung über neue Datenspeicherungen stets im Blick behalten muss, welche Daten bereits abgerufen werden können. Damit soll eine Salami-Taktik vermieden werden, bei der einzelne Maßnahmen für sich betrachtet in Ordnung gehen mögen, aber in der Gesamtschau eine Totalüberwachung ermöglichen.

Zweifel an der Wirksamkeit

Spätestens seit den Snowden-Enthüllungen wissen wir, dass die Five-Eyes-Staaten eine vollständige Erfassung des Internet- und Mobilfunkverkehrs weltweit anstreben; deutsche Stellen haben auf die Datenberge wenigstens teilweise Zugriff. Außerdem können Polizei und Justiz schon heute auf die von Providern freiwillig gespeicherten Verkehrsdaten und auf jede Menge Inhaltsdaten zugreifen, etwa auf E-Mails und Profile bei Google, Facebook und vielen anderen Telemediendiensten. Ist vor dem Hintergrund dieser bereits existierenden Möglichkeiten eine weitere nationale Vorratsdatenspeicherung zu rechtfertigen? Dieses Problem spricht der Gesetzentwurf erst gar nicht an.

Verhältnismäßig ist ein so massiver Eingriff in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger außerdem nur, wenn er geeignet, erforderlich und angemessen ist. Das BVerfG hatte 2010 noch geurteilt, dass dies unter strengen Voraussetzungen der Fall sein könne. Seither ist wiederum viel geschehen: 2011 veröffentlichte das Max-Planck-Institut in Freiburg (MPI) eine Studie zu den Erfolgen der VDS 1.0 – Ergebnis: Ein positiver Effekt selbst einer sechsmonatigen Speicherung auf die Strafverfolgung lässt sich nicht nachweisen. Auch eine Evaluation der EU-Kommission zum Nutzen der VDS in allen EU-Staaten verlief ergebnislos. Der Gesetzentwurf geht auf diese gravierenden Indizien gegen den Nutzen einer VDS nicht ein, das entscheidende Gutachten des MPI wird auf 55 Seiten nicht einmal erwähnt.

Verräterisches Totschweigen

Das Totschweigen der eigentlichen verfassungsrechtlichen Probleme ist verräterisch. Denn scheinbar akribisches Abschreiben von ausgewählten Details aus den Urteilen des BVerfG und des EuGH kann eine überzeugende Antwort auf zwei Fragen nicht ersetzen: Warum eine nicht einmal nachweisbar wirksame Maßnahme verhältnismäßig sein soll und ob die Überwachungs-Gesamtrechnung nicht ergibt, dass unser Gemeinwesen längst weit in den roten Bereich gedriftet ist, was die Achtung der Privatsphäre angeht. Der Gesetzgeber hat zwar einen Spielraum einzuschätzen, welche Maßnahmen er für angemessen hält. Die Augen vor der Wirklichkeit verschließen darf er aber nicht: Auch mit 2/3-Mehrheit gibt 2+2 nicht 5.

Die Schwächen der Begründung des mit viel Mühe vorbereiteten Gesetzentwurfs machen deutlich: Es gibt keine überzeugenden Gründe für eine anlasslose verpflichtende Speicherung von Verkehrs- und Standortdaten. Polizei und Justiz haben in den fünf Jahren seit dem Ende der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland keinesfalls vor „dem Verbrechen“ kapitulieren müssen. Im Gegenteil haben sie auch ohne Vorratsdaten in der digitalen Welt zahlreiche Ermittlungsmöglichkeiten, von denen ihre Kollegen noch in den 1990er Jahren nur träumen konnten. Dabei sollten wir es belassen: In einem Rechtsstaat dürfen Sicherheitsbehörden nun einmal nicht alles, was technisch möglich wäre.

Quelle : www.heise.de

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Bundeskabinett beschließt Vorratsdatenspeicherung trotz Kritik
« Antwort #466 am: 27 Mai, 2015, 13:59 »
Das Bundeskabinett hat den höchst umstrittenen Entwurf für eine Vorratsdatenspeicherung 2.0 auf den Weg gebracht.

Die Bundesregierung will eine Speicherung von Telekommunikationsdaten für maximal zehn Wochen zulassen – nach Aussagen der zuständigen Ministerien "zur Bekämpfung von Terror und schweren Verbrechen" . Nach langen Auseinandersetzungen brachte das Kabinett am Mittwoch die Neuregelung zur umstrittenen Vorratsdatenspeicherung auf den Weg.

Telekommunikationsanbieter sollen IP-Adressen von Computern und Verbindungsdaten zu Telefongesprächen demnach maximal zweieinhalb Monate aufbewahren. Standortdaten bei Handy-Gesprächen sollen höchstens vier Wochen gespeichert werden, Daten zum E-Mail-Verkehr gar nicht. Inhalte der Kommunikation sind ohnehin nicht zur Speicherung vorgesehen.

Die Kritik an dem Vorhaben ist heftig: Nicht nur der Umfang einzelner Datenspeicherungen und die Unklarheiten bei einzelnen Regelungen, die umfangreichen Datenerhebungen Tür und Tor öffnen könnten, stehen unter Beschuss – grundsätzlich wird zudem kritisiert, dass mit der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung alle Bürger unter Generalverdacht gestellt werden.

Mehr zu Stellungnahmen aus dem Kabinett und zu Reaktionen auf den vom Kabinett beschlossenen Gesetzentwurf in Kürze auf heise online.

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Bundesjustizminister Heiko Maas hat sich nach dem Beschluss des Regierungsentwurfs zur Vorratsdatenspeicherung überzeugt gezeigt, dass dieser mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung vereinbar ist. Doch es gibt viele Angriffspunkte.

Sichtlich erleichtert präsentierte sich Bundesjustizminister Heiko Maas am Mittwoch in Berlin, nachdem das Bundeskabinett seinen Referentenentwurf für eine neue Vorratsdatenspeicherung ohne große Veränderungen angenommen hatte. "Wir können sehr zufrieden sein, dass wir diesen vernünftigen Kompromiss gefunden haben", erklärte der SPD-Politiker. Die Bundesregierung habe einen "sehr ausgewogenen" Gesetzentwurf auf den Weg gebracht, der "Urteilen der Gerichte standhalten" werde.

Die ursprüngliche Vorratsdatenspeicherung mit längeren Fristen hatte das Bundesverfassungsgericht 2010 kassiert. Voriges Jahr kippte der Europäische Gerichtshof (EuGH) auch die EU-Richtlinie, er zeigte sich zudem äußerst skeptisch gegenüber jegliche anlasslose Überwachung. Maas selbst hatte monatelang versucht, Forderungen aus den Reihen von CDU und CSU standzuhalten.

"Gratwanderung zwischen Grundrechten und Interessen der Polizei"

Hinter dem nun verabschiedeten Gesetzentwurf stehe er aber, versicherte der Sozialdemokrat, sonst hätte er ihn nicht vorgelegt. Dieser sei weit entfernt von dem, was in den vergangenen Jahren "unter Vorratsdatenspeicherung diskutiert worden ist". Dabei sei es um längere Fristen gegangen, es sei kein Katalog für schwerste Straftaten definiert worden, der Ermittlern einen Zugriff auf die Verbindungs- und Standortinformationen erlaube, zudem sei dafür kein Richtervorbehalt vorgesehen gewesen. Die Vorgaben der Gerichte seien eingeflossen.

Die Politik begebe sich bei dem "Symbolthema zum Datenschutz" auf eine "schmale Gratwanderung", räumte Maas ein. Man wolle schließlich nicht nur die Grundrechte der Bürger schützen, sondern auch der Polizei "etwas bieten". Ob das Gesetz nötig sei, könne er zwar nicht beweisen, da es dieses noch nicht gebe. Praktiker hätten ihm aber in vielen Gesprächen klargemacht, dass es bereits viele Fälle gegeben habe, in denen "aufgrund nicht vorhandener Daten Straftaten nicht aufgeklärt werden konnten".

Provider müssen laut Gesetzentwurf Verbindungsinformationen zehn Wochen und Standortdaten vier Wochen lang speichern. Der Bereich E-Mail soll ausgenommen werden. Anbieter, die ihren Kunden nur eine kurzzeitige Nutzung des Telekommunikationsanschlusses ermöglichen, müssen keine Daten speichern; also Betreiber von Hotels, Restaurants und Cafés, die ihren Kunden etwa einen WLAN-Hotspot zur Verfügung stellen. Die Regierung bezieht sich dabei auf eine Mitteilung der Bundesnetzagentur. Auch müssen nur Daten gespeichert werden, die direkt bei der Dienstleistung erzeugt oder verarbeitet werden.

"Größere Datenmengen"

Auch mit dem Kabinettsbeschluss bleibt es aber dabei, dass Provider und Anbieter von Internet-Telefonie nach dem neuen Paragraph 113b Telekommunikationsgesetz (TKG) neben IP-Adressen "eine zugewiesene Benutzerkennung" wie Port-Nummern speichern müssten. Kritiker gehen davon aus, dass damit eine deutlich größere Datenmenge als bei der ersten Vorratsdatenspeicherung und ein "echtes Internet-Nutzungsprotokoll" auch für besuchte Webseiten entstünde, abgesehen von großen technischen Schwierigkeiten und wenig faktischem Nutzen.

Um die Quelle eines Kommunikationsvorgangs besser rückverfolgen und identifizieren zu können, sei die zugewiesene Benutzerkennung erforderlich, beteuert die Regierung. Die in Internet aufgerufenen Adressen in Form von URLs würden nicht gespeichert, es werde nicht das gesamte "Surfverhalten" von Internetnutzern nachvollziehbar.

"An der Grenze zur Strafbarkeit"

Mobilfunkbetreiber müssen auch die "Bezeichnung der bei Beginn der Internetverbindung genutzten Funkzelle" vorhalten, sodass hier wohl jeder Online-Kontakt etwa beim Aufrufen einer Webseite oder Nachrichten aus sozialen Netzwerken einschließlich Standort zu protokollieren wäre. Die Regierung zieht sich dagegen auf die Ansage zurück, dass keine Bewegungsprofile erstellt werden dürften.

Im Zentrum der Kritik steht auch der Paragraph zur "Datenhehlerei": Journalistenverbände sehen damit den Schutz von Informanten und Whistleblower nicht gewährleistet und sich an die Grenze zur Strafbarkeit gerückt. Nicht korrigiert hat das Kabinett zudem die Ansage, dass Daten von Berufsgeheimnisträgern wie Abgeordneten, Anwälten, Ärzten oder Journalisten zunächst erhoben, im Anschluss aber nicht verwertet werden dürfen.

Das neue Gesetz ist nicht befristet. "Eine Evaluierung ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht vorgesehen", heißt es dann im Unterschied zum Referentenentwurf weiter, in dem das Justizministerium einen solchen Check im Nachhinein noch als "entbehrlich" bezeichnet hatte. Die Ermittlungen mit Hilfe der Vorratsdaten sollen statistisch erfasst werden, sodass eine spätere Überprüfung zumindest "ermöglicht" werde.

"Verfassungswidriger Dammbruch"

Die Vorsitzende des Rechtsausschusses im Bundestag, Renate Künast, bezeichnete den Beschluss als "verfassungswidrig" und "Dammbruch". "Die Freiheit und die Persönlichkeitsentfaltung sind dahin, wenn der Mensch davon ausgehen muss, immer überwacht zu werden", sagte die Grüne im ARD-Morgenmagazin. Künast warf der Koalition vor, das Gesetz bis Juli im Schnellverfahren durch den Bundestag bringen zu wollen und kündigte an: "Dann treffen wir uns vorm Europäischen Gerichtshof und in Karlsruhe beim Verfassungsgericht wieder."

Auch aus der Wirtschaft hagelt es weiter Kritik. Der Entwurf sei an vielen Stellen schlicht "nachlässig und ganz offenbar ohne den nötigen technischen Sachverstand formuliert", beklagt Oliver Süme, Rechtsvorstand beim Verband der deutschen Internetwirtschaft eco. Herausgekommen sei ein Text, "den die betroffenen Unternehmen so nicht werden umsetzen können". Die Anbieter müssten mit IP-Adressen eine Datenbank über sämtliche Kommunikationsverbindungen aufbauen, mit der Nutzerprofile erstellt werden könnten. Der Bundesverband IT-Mittelstand wendet ein, dass vor allem kleinere Provider mit der "insgesamt zweifelhaften" Initiative geschädigt würden. Das Parlament müsse den schädlichen Entwurf nun aufhalten, zumal derzeit keine ernsthafte "öffentliche Beteiligung" an dem Schnellverfahren vorgesehen sei.

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Von schier allen Seiten kommen Proteste: Für die einen hebelt der Regierungsentwurf zum Protokollieren von Nutzerspuren die Freiheitsrechte aus, für die anderen stellt er diese weit über Belange der Strafverfolger.

Glücklich mit dem Beschluss des Bundeskabinetts zur neuen Vorratsdatenspeicherung scheint nur die CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu sein. Einen "Quantensprung für die innere Sicherheit" verspricht sich zumindest Unionsvize Thomas Strobl (CDU) von dem Gesetzentwurf. Verbindungs- und Standortdaten könnten der Polizei künftig helfen, gegen "Einbrecherbanden, Kinderpornographie und Terrorismus" vorzugehen. Nur an einigen Stellen wie etwa den Speicherfristen "hätten wir uns mehr vorstellen können".

Lob und Schweigen

Auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière lobte den Gesetzentwurf, den Justizminister Heiko Maas (SPD) ausarbeiten ließ, als "wirksam und maßvoll zugleich". Es sorge für mehr Sicherheit für die Bürger und schütze ihre Freiheit. Zugleich zeigte sich der CDU-Politiker genauso wie Maas überzeugt, dass "dieses Gesetz die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs vollumfänglich einhält".

Die SPD-Fraktion schweigt offiziell zu dem Vorstoß, auch wenn es hinter den Kulissen brodelt. Die Gegner der Vorratsdatenspeicherung seien in den Reihen der Sozialdemokraten "zahlreicher als gedacht", meint ihr Netzexperte Lars Klingbeil. Er und Mitstreiter setzen nun auf den nicht-öffentlichen SPD-Parteikonvent am 20. Juni: Bislang haben sich rund 100 Parteikreise in Anträgen zu dem Treffen gegen das Regierungsvorhaben ausgesprochen.

Parteitagsregie

Doch noch ist unklar, ob es überhaupt zu einem Votum darüber kommt und welche Aussagekraft ein solches hätte. Ein bindender Beschluss müsste eigentlich auf einem richtigen Parteitag gefällt werden. Zuletzt sprachen sich die Sozialdemokraten bei einem solchen Anlass 2011 für die Vorratsdatenspeicherung aus. Auf jeden Fall dürfte ein Aufstand an der Basis bald verpuffen, glaubt der Ex-SPD-Bundestagsabgeordnete Jörg Tauss: "Die Helden werden wieder reihenweise kippen."

Von einem "schwarzen Tag für unsere Grund- und Freiheitsrechte", sprach Jan Korte, Vize der Bundestagsfraktion der Linken. Die bereits jetzt vorgetragenen Forderungen aus der Union, das Instrument deutlich auszuweiten, zeigten, wohin die Reise gehen solle. Für die Grünen gehört die Vorratsdatenspeicherung "endgültig auf die Müllhalde". FDP-Politiker unterstrichen, dass die Koalition dem Rechtsstaat einen Bärendienst erweise und eine neue Klage vor dem Bundesverfassungsgericht geradezu herausfordere.

Unzureichend

Der Entwurf "ist bei weitem nicht ausreichend und fernab der Anforderungen aus der Praxis", betont dagegen der Chef des Bunds Deutscher Kriminalbeamter (BDK), André Schulz. So könnten die Ermittler nicht einmal bei sexuellem Kindesmissbrauch und Vergewaltigung auf die Daten zugreifen.

"Die Polizei darf bei zahlreichen Delikten den Wohnraum technisch überwachen und Gesprächsinhalte aufzeichnen, darf aber nicht wissen, wer vor vier Wochen mit wem telefoniert hat", empört sich Schulz. "Das ist eine Pervertierung des Grundrechtsschutzes." Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) sprach von einem "ersten ermutigenden Schritt für eine verbesserte Bekämpfung schwerster Kriminalität", bei dem die Politik es aber nicht belassen dürfe.

Schnell, schnell ...

Die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff widersprach de Maizière und Maas. Ihrer Ansicht nach entspricht die Initiative "nicht vollumfänglich dem, was das Bundesverfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof in ihren Urteilen für die verfassungskonforme Ausgestaltung einer solchen Maßnahme gefordert haben".

Die frühere CDU-Abgeordnete rügte die Regierung für die an den Tag gelegte, inakzeptable Eile: "Für ein solches Gesetzgebungsverfahren, das massive grundrechtliche Eingriffe zur Folge hat und fundamentale datenschutzrechtliche Fragestellungen aufwirft, hätte es einer intensiven und gründlichen Prüfung bedurft." Ihrer Behörde seien "faktisch nicht einmal 30 Stunden zur Abgabe einer Stellungnahme eingeräumt" worden. Hamburgs Datenschutzbeauftragter Johannes Caspar meldete erhebliche Zweifel an, ob die Vorratsdatenspeicherung zielführend, erforderlich und verhältnismäßig sei.

Profilbildung

Hart ins Gericht mit dem Vorhaben geht auch das Deutsche Institut für Menschenrechte: Selbst eine begrenzte Speicherdauer von wenigen Wochen ermögliche es im digitalen Zeitalter, aussagekräftige Persönlichkeits- und Bewegungsprofile zu erstellen und gruppenbezogene Einflussstrukturen und Entscheidungsabläufe zu entdecken.

Mit Ausnahme weniger Deliktsformen lägen die Aufklärungsquoten für die aufgelisteten Katalogstraftaten zudem bereits über 80 oder gar 90 Prozent. Diese Raten seien durch eine umfangreichere Datenauswertung wohl kaum zu steigern, zumal bereits andere Bestände etwa aus der Videoüberwachung Aktivitäten der Bevölkerung rekonstruierbar machten. Hier müsse die Regierung endlich eine solide Gesamtbilanz von Schnüffelaktivitäten vorlegen.

Ähnlich wie andere Journalistenvereinigungen wertete der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) den Entwurf als "schädlich für die Pressefreiheit". Auch der Quellenschutz werde nicht wirksam garantiert.

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Offline Jürgen

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Zitat
"Die Polizei darf bei zahlreichen Delikten den Wohnraum technisch überwachen und Gesprächsinhalte aufzeichnen, darf aber nicht wissen, wer vor vier Wochen mit wem telefoniert hat"
Schäm' er sich, Schulz!!!

Die Polizei darf definitiv erst dann Wohnraum überwachen und aufzeichnen, wenn VORHER ein Richter genau diesen Einzelfall genehmigt hat, und nur in dem genehmigten Umfang und gegebenenfalls mit individuellen und gesetzlichen Einschränkungen. 
Jede davon nicht gedeckte Wohnraumüberwachung wäre kriminell und verfassungswidrig, und nicht einmal die Behauptung von Gefahr im Verzuge ändert daran irgendetwas.

Brief- und Fernmeldegeheimnis sind aus exakt denselben Gründen von den Vätern des Grundgesetzes aufgenommen worden wie die Unverletzlichkeit der Wohnung. Selbst wenn schon vor Jahrzehnten der Artikel 10 eingeschränkt wurde, meiner Ansicht nach damals den Wesensgehalt antastend und insofern eigentlich unwirksam, hat sich die GeStaPo 2.0 jedenfalls aufgrund der Gewaltenteilung aus der Legislative komplett herauszuhalten.
Für Staatsorgane ist das Grundgesetz unmittelbar geltendes Recht und unantastbar.
Insbesondere sei dabei an den Beamteneid erinnert...

Setzen, 6
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Jürgen
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SPD stimmt Vorratsdatenspeicherung zu
« Antwort #470 am: 20 Juni, 2015, 18:05 »
Die SPD folgt ihrem Parteichef in der höchst heiklen Frage, Daten von Bürgern ohne konkreten Anlass zu sammeln. Aber widerwillig. Grüne und Linke rufen Verrat.

Die SPD sagt mit knapper Mehrheit Ja zur Vorratsdatenspeicherung und folgt damit nach langer und erbitterter Debatte der Linie von Parteichef Sigmar Gabriel. Ein kleiner SPD-Parteitag gab am Samstag in Berlin grünes Licht für das von der schwarz-roten Regierung auf den Weg gebrachte Gesetz. Damit sollen Internetprovider und Telekommunikationsunternehmen verpflichtet werden, im Kampf gegen Kriminalität und Terror vorsorglich sogenannte Verkehrsdaten zu speichern, aus denen sich etwa ablesen lässt, wer wann und wo mit wem telefoniert hat.

Es gab 124 Ja-Stimmen, 88 Delegierte lehnten das Vorhaben ab. Sieben Delegierte enthielten sich. Die Auszählung musste nach Protesten von Delegierten wiederholt werden. Gabriel sprach dann von einem "klaren Ergebnis". Er sagte: "60 Prozent in einer Partei, die diskutiert, sind besser als 100 Prozent in einer Partei, die nicht diskutiert." Das genaue Ergebnis beläuft sich allerdings auf 58,5 Prozent. Und das nur, weil die SPD Enthaltungen nicht mitzählt. Unter Einbeziehung der Enthaltungen wären es nur 56,6 Prozent.

Allerdings nahmen die Sozialdemokraten überraschend eine Forderung nach einer Überprüfung des Gesetzes nach einer bestimmten Frist auf. Justizminister Heiko Maas (SPD) teilte mit: "Die Prüfung sollte unter Einbeziehung wissenschaftlicher Sachverständiger erfolgen, die im Einvernehmen mit dem Deutschen Bundestag bestellt werden sollten."

Gabriel sagte, er habe mit Innenminister Thomas de Maizière (CDU) vor zwei Wochen darüber gesprochen. Der Parteichef mahnte: "Wir dürfen nicht zulassen, dass Freiheit und Sicherheit als Gegensätze gesehen werden. Es gibt keine Freiheit ohne Sicherheit und es gibt keine Sicherheit ohne Freiheit." Gabriel hatte im Frühjahr Maas, der eigentlich ein Gegner des Datensammelns ist, angewiesen, zusammen mit der Union einen Gesetzentwurf zu erarbeiten.

Maas zeigte sich zuversichtlich, dass das Gesetz nach der Sommerpause verabschiedet wird. Es könne auch Vorbild auf europäische Ebene sein. Nirgendwo sonst gebe es einen derartigen Ausgleich zwischen Sicherheit und Freiheit. "Was wir vorgelegt haben, ist nicht die alte Vorratsdatenspeicherung (...). Wir legen unser besonderes Augenmerk darauf, Bürgerrechte und Datenschutz zu wahren." Das Gesetz sieht vor, dass Handy-Standortdaten vier Wochen lang gespeichert werden sollen. Die restlichen Daten müssen die Anbieter zehn Wochen lang vorhalten. Der Inhalt der Kommunikation wird nicht aufgezeichnet.

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Re: SPD stimmt Vorratsdatenspeicherung zu
« Antwort #471 am: 21 Juni, 2015, 08:22 »
Ich weiß nicht, ob unsere gewählten Dummschwätzer es vergessen haben oder absichtlich ignorieren, aber Terrorismus und Kriminalität sind etwas älter als das Internet und die Mobilfunknetze. Wer meint, dass Vorratsdatenspeicherung dagegen hilft, muss vorher noch die Terroristen und Kriminellen bitten, ihre Handys immer brav eingeschaltet zu lassen und ihre Kommunikation übers Neuland weder zu verschlüsseln noch zu anonymisieren.  :O


PC: Intel® Core™ i5-6500, ASRock H170 Pro4S, 16 GB DDR4-RAM, Samsung 850 EVO SATA III 2,5 Zoll 250 GB SSD, KFA2 GEFORCE GTX 960 GAMER OC 4GB, DVBSky S950, Windows 10 Prof. x64
Gäste-PC: Intel® Core™2 Duo Processor E8400, Asus P5K Deluxe/WiFi-AP, 4 GB DDR2-RAM, 250 GB HDD, Sparkle GeForce® GT 430, Hauppauge Nova-S PCI mit TT-Budget BDA-Treiber 5.0.3.6, Windows 10 Prof. x64
Sat.-Technik: Technisat GigaSystem 17/8 G, 4x Quattro-LNBs: 19.2° E, 13.0° E, 28.2° E, 7.0° E
DVB-Software: Mediaportal, SmartDVB

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Gefährliches U-Boot im Entwurf zur Vorratsdatenspeicherung
« Antwort #472 am: 10 Oktober, 2015, 05:49 »
Justizminister Heiko Maas legt ein Gesetz vor, das unvorhersehbare Auswirkungen auf alle Lebensbereiche haben würde, in denen abhanden gekommene Daten eine Rolle spielen. Vor allem der investigative Journalismus ist gefährdet, findet Ulf Buermeyer.

Demokratie funktioniert nur mit einer freien Presse, die Unternehmen und den anderen demokratischen Institutionen auf die Finger schaut. Das geht manchmal nur mit geleakten Informationen. Ein Beispiel: Ein Ministerialbeamter stellt haarsträubende Rechtsverletzungen in seinem Haus fest. Er wendet sich vertrauensvoll an eine Journalistin, die frei für ein Nachrichtenmagazin arbeitet, und schickt ihr eine PDF-Datei, aus der dieser Sachverhalt hervorgeht. Die Journalistin wiederum gibt die Datei mit weiteren Recherchen an den Redakteur ihres Magazins weiter. Derzeit kann der Redakteur diese Informationen völlig legal veröffentlichen, denn es gibt kein Strafgesetz, das sein Handeln unter Strafe stellt.

Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat jüngst allerdings den Entwurf eines neuen Straftatbestands vorgelegt, der den Namen "Datenhehlerei" tragen soll. Und diese "Datenhehlerei" soll nach der Vorstellung der Großen Koalition begehen, wer irgendwelche Daten, die jemand anderes auf rechtswidrige Weise erlangt hat, sich verschafft oder sie "einem anderen überlässt, verbreitet oder sonst zugänglich macht".

Wenn der Redakteur aus dem Beispiel sich das PDF also verschafft, indem er es auf einen USB-Stick kopiert, erfüllt er schon den Tatbestand, denn die Journalistin hat die PDF-Datei durch eine rechtswidrige Tat des Ministerialbeamten erlangt, nämlich zumindest die Verletzung des Dienstgeheimnisses. Es genügt also schon ein im Journalismus alltägliches Dreiecksverhältnis, und schon könnte der Redakteur "dran" sein.

Der Redakteur müsste nun nur noch handeln, um sich oder einen anderen zu bereichern, aber auch das stellt keine wirkliche Hürde dar, denn hier würde etwa eine Gehaltserhöhung wegen des Scoops für ihn selbst oder eine Umsatzsteigerung für seinen Verlag ausreichen. Als Strafmaß steht eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren im Raum – und das halbherzige Presse-Privileg, das das neue Gesetz nach einiger Kritik inzwischen vorsieht, wird Journalisten in vielen Fällen auch nicht schützen können.

Gut versteckt

Den Straftatbestand der Datenhehlerei hat das Ministerium im Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung 2.0 – einem Dokument von über 50 Seiten – quasi versteckt: Fast sieht es so aus, als sollte verhindert werden, dass der Bundestag überhaupt zur Kenntnis nimmt, was hier unter Strafe gestellt werden soll.

Der Sinn dieses Gesetzes liegt im Dunkeln; mit dem Wesen der "normalen" Hehlerei jedenfalls hat die Datenhehlerei nichts zu tun. Die "normale" Hehlerei mit Sachen unter Strafe zu stellen, macht ja durchaus Sinn, denn mit jedem Schritt weg vom Eigentümer wird es bei gestohlenen Gegenständen unwahrscheinlicher, dass er sein Eigentum zurück bekommt. Bei Daten ist das anders: Man kann sie verlustfrei kopieren, also vertieft das "Sich-Verschaffen" als solches nicht den Verlust der Daten. Deswegen ist nicht zu erkennen, was genau das Handeln des Datenhehlers eigentlich zu strafwürdigem Unrecht machen soll.

Interessanterweise führt auch die Begründung des Gesetzes Beispiele an, in denen gerade nicht das bloße Kopieren zu einem Schaden führt, sondern erst eine bestimmte Art und Weise sie zu verwenden – beispielsweise wenn es sich um Kreditkarten-Daten handelt, mit denen man im Internet bezahlen kann. Hier aber ist bereits der Missbrauch der Daten zum Einkaufen strafbar, sodass es einen neuen Straftatbestand "Datenhehlerei" nicht braucht. Und wenn wirklich der "Besitz" von Zahlungsdaten der gesetzgeberische Grund für die "Datenhehlerei" sein soll, warum konzentriert sich das neue Gesetz dann nicht auf solche besonders missbrauchsanfälligen Daten?

Angst vor Whistleblowern?

Das Versäumnis des Justizministers, die "Datenhehlerei" auf bestimmte besonders "heikle" Daten zu beschränken, macht misstrauisch: Geht es der Bundesregierung etwa eigentlich um etwas ganz anderes? Dafür spricht jedenfalls, dass der geplante "Datenhehlerei"-Paragraph auch dazu führen würde, dass der Umgang mit Daten von Whistleblowern schnell zu einem Fall für den Staatsanwalt werden kann.

Wie kann es sein, dass ein Gesetz, das legitime journalistische Arbeit unter Strafe stellen würde, allen Ernstes seinen Weg ins Parlament findet? Das Justizministerium hat den Gesetzentwurf nach heftiger Kritik im Vorfeld geringfügig verändert und neben einem von vornherein geplanten Freibrief für Finanzbeamte, die sogenannte "Steuer-CDs" kaufen, auch eine halbherzige Ausnahme für Journalisten aufgenommen.

Dieses Presse-Privileg ist aber so eng gefasst, dass es in der Praxis oft nicht greifen dürfte: Journalisten sind nämlich nur dann nicht wegen "Datenhehlerei" strafbar, wenn sie "berufsmäßig" handeln. Was das im Einzelfall heißt ist eine Frage der Auslegung, und der unklare Begriff schafft die Gefahr, dass ehrenamtliche Blogger nicht geschützt sind – eine Beschränkung, deren Sinnlosigkeit spätestens der Landesverrats-Skandal um das Blog netzpolitik.org deutlich macht.

Journalisten müssen außerdem ausschließlich aus beruflichen Gründen handeln: Sobald sie sich auch privat für das Thema ihrer Recherchen interessieren, entfällt also das Presse-Privileg. Privates Interesse ist aber eine kaum zu widerlegende Unterstellung, die in der Praxis Ermittlungen auch gegen Journalisten ermöglichen würde, indem angenommen wird, sie handelten eben nicht ausschließlich aus beruflichen Gründen.

Große Grauzone

Diese offensichtliche Hintertür aber dürfte bereits genügen, um die Pressefreiheit auszuhöhlen: Ob sich das private Interesse letztlich nachweisen lässt und es wirklich zu einer gerichtlichen Verurteilung kommt, ist nicht unbedingt die entscheidende Frage – das Vertrauensverhältnis zu Informanten nimmt bereits Schaden, wenn die Polizei bei der Presse durchsucht und dabei Unterlagen sicherstellt, aus denen sich die Identität von Informanten ergeben kann. Den dafür notwendigen Verdacht gegen Journalisten zu konstruieren, macht die "Datenhehlerei" in ihrer derzeitigen Form nur allzu leicht.

Außerdem erfordert journalistisches Arbeiten mit geleakten Daten oftmals, dass externe Experten konsultiert werden. Dies zeigt etwa das aktuelle Beispiel der bei der Firma Lovoo gestohlenen Daten, aus denen sich offenbar ergibt, dass die Firma Fake-Profile verwendete, um Kunden zu kostenpflichtigen Angeboten zu locken: Ohne die Hilfe von IT-Spezialisten lässt sich kaum beurteilen, ob die angeblichen Mail-Postfächer der Manager manipuliert wurden oder nicht.

Auch müssen Juristen eingeschaltet werden, um zu prüfen, ob der entstandene Artikel presserechtlich zulässig ist. Dafür müssen die Journalisten jeweils wenigstens Teile der geleakten Daten von Journalisten an die Experten weitergeben – und ob für diese Experten das Presse-Privileg des Datenhehlerei-Paragraphen gelten würde, ist mehr als fraglich. In einer solchen Grauzone aber lässt sich nicht arbeiten: Der Schutz der journalistischen Recherche muss eindeutig sein, sonst können sich Informanten nicht darauf verlassen.

Das geplante Gesetz gegen "Datenhehlerei" ist also sowohl juristisch unsinnig als auch brandgefährlich für die Pressefreiheit, denn es würde den Umgang mit geleakten Daten zu einem strafrechtlichen Minenfeld machen. Der Bundestag sollte den unausgegorenen Paragraphen aus dem Hause Maas keinesfalls im Paket mit der Vorratsdatenspeicherung 2.0 durchwinken.

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Offline Jürgen

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Re: Gefährliches U-Boot im Entwurf zur Vorratsdatenspeicherung
« Antwort #473 am: 11 Oktober, 2015, 02:59 »
Wenn für den staatlichen Ankauf von sog. Steuer-CDs eine ausdrückliche Ausnahme in so einem Gesetz vorgenommen wird, ist das wahrscheinlich verfassungswidrig.
Siehe z.B. Grundgesetz Artikel 3.
Das gilt auch für Staatsbedienstete, genau für diese sogar als unmittelbar geltendes Recht.
Eine Schlechterstellung des Journalismus und seines Schutzes nach Artikel 5 gegenüber Mitgliedern staatlicher Einrichtungen lässt das Verfassungsgericht mit Sicherheit nicht zu. 
Finanzielles Interesse des Staates ist nämlich keinesfalls ein höheres Rechtsgut als die Meinungs-/Presse-/Informationsfreiheit.

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Jürgen
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Bundestag führt Vorratsdatenspeicherung wieder ein
« Antwort #474 am: 16 Oktober, 2015, 13:45 »
Unter Protesten von Bürgerrechtlern und der Opposition hat das Parlament mit der Mehrheit der großen Koalition die umstrittene Gesetzesinitiative zum anlasslosen Protokollieren von Nutzerspuren verabschiedet.

Der Bundestag hat am Freitag den umstrittenen Regierungsentwurf für eine neue Vorratsdatenspeicherung abgesegnet. In der namentlichen Abstimmung haben 404 Abgeordnete für die neue Vorratsdatenspeicherung votiert, 148 waren dagegen bei 7 Enthaltungen (die Opposition verfügt lediglich über 127 Stimmen). In dem Gesetz enthalten sind jene Änderungen aus dem Rechtsausschuss, auf die sich CDU/CSU und SPD zuvor geeinigt hatten. Trotz großer Bedenken von Sachverständigen hat die Koalition die Vorgaben des Kabinetts inhaltlich nicht mehr überarbeitet. Es wird lediglich der Bundesregierung aufgegeben, die Vorschriften innerhalb von drei Jahren mithilfe eines externen Experten zu evaluieren.

Alle sind verdächtig

Ex-Verbraucherschutzministerin Renate Künast von den Grünen warf Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) bei der abschließenden hitzigen Lesung vor, er sei "vom Ast gefallen". Die Koalition mache "alle in dieser Bundesrepublik zu Verdächtigen". Alle drei, vier Minuten werde von jedem mit einem Mobilgerät festgestellt, wo er sich aufhalte. Dies habe selbst Orwell in 1984 nicht absehen können. Zudem habe niemand die Frage der Datensicherheit nach Snowden beantwortet. Keiner könne ausschließen, dass etwa Geheimdienste wie die NSA Zugang hätten.

"Diesmal gehen Sie vorsätzlich gegen das Grundgesetz vor, dagegen werden wir uns wehren", ergänzte der grüne Netzexperte Konstantin von Notz in Richtung Union und SPD. Die Vorratsdatenspeicherung stelle einen "Dammbruch par excellence" in einer Kernfrage der Bürgerrechte in der digitalen Welt dar, der "Gift für unsere Demokratie und unsere Wirtschaft" sei.

Schwarz-Rot stelle ideologiegetrieben die ganze Bevölkerung unter "Generalverdacht", warnte auch Halina Wawzyniak von der Linken. Dies gehöre sich in einer Demokratie nicht, zumal die von Karlsruhe geforderte Überwachungsgesamtrechnung fehle. Die Netzpolitikerin warnte: "Finger weg von der Einschränkung von Grundrechten".

Der ganze Artikel

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Vorratsdatenspeicherung: Die Polizei will mehr
« Antwort #475 am: 16 Oktober, 2015, 17:07 »
Während die Internetwirtschaft und Datenschützer den Beschluss der neuen Vorratsdatenspeicherung als zu weitgehend kritisieren, drängen Strafverfolger bereits auf längere Speicherfristen und einfacheren Zugang zu den Informationen.

Praktikern gehen die neuen Vorgaben zur anlasslosen Vorratsdatenspeicheurng, die der Bundestag am Freitag abgenickt hat, nicht weit genug. "Drei Monate Frist für gespeicherte Daten waren unser Vorschlag, zehn Wochen können da nur ein erster Kompromiss sein", kommentierte Dietmar Schilff von der Gewerkschaft der Polizei (GdP) die parlamentarische Entscheidung. Die Ermittler müssten "auch weiterhin die innere Sicherheit auf technischer Augenhöhe mit den Kriminellen wirksam schützen" können.

Ähnlich äußerte sich André Schulz vom Bund Deutscher Kriminalbeamter (BdK). Er räumte zwar ein, dass die Vorratsdatenspeicherung einen "Paradigmenwechsel" mit sich bringe. Dieser stelle aber "die logische und notwendige Konsequenz der Digitalisierung der Gesellschaft dar". Gerade der Katalog möglicher Straftaten, bei denen Ermittler Verbindungs- und Standortdaten einsehen dürften, greife viel zu kurz. Schulz forderte daher "endlich eine gesamtgesellschaftliche Diskussion über den Datenschutz".

"Nur Verlierer"

Anders sieht die Sache der eco-Verband der Internetwirtschaft, demzufolge das im Eiltempo verabschiedete Gesetz "letztlich nur Verlierer hervorbringen wird". Bürger müssten Einschnitte in ihre Grundfreiheiten ertragen, die betroffenen Unternehmen blieben auf Kosten von geschätzt 600 Millionen Euro allein für Speicherinfrastruktur sitzen, aber auch der Nutzen für die Strafverfolgung sei mehr als fraglich. Die "netzpolitische Fehlentscheidung" werde nun wie gehabt vor dem Bundesverfassungsgericht landen und dort "voraussichtlich keinen Bestand haben".

Der Digitalverband Bitkom stieß ins gleich Horn und bedauerte, dass die betroffenen Unternehmen bei der "praktischen Ausgestaltung des Gesetzes gar nicht gefragt" worden seien. Nun müssten sie sich angesichts der zu erwartenden Verfassungsbeschwerden "auf eine längere Phase der Rechtsunsicherheit einstellen". Auch der Präsidiumsarbeitskreis "Datenschutz und IT-Sicherheit" der Gesellschaft für Informatik bedauerte die Initiative des Gesetzgebers.

"Schwarzer Tag für Quellenschutz"

Von einem "schwarzen Tag für den journalistischen Quellenschutz in Deutschland" sprach Matthias Spielkamp von der Vereinigung "Reporter ohne Grenzen". Die Vorratsdatenspeicherung und der neue Straftatbestand der Datenhehlerei würden Informanten von der Kontaktaufnahme mit Journalisten abschrecken. Selbst der vorgesehene Schutz für Berufsgeheimnisträger sei so lückenhaft, "dass Rechtsstreitigkeiten und Missbrauch programmiert sind". Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) fürchtet ebenfalls einen "Keulenschlag gegen Informanten".

Auch mit der gesetzlichen Neuauflage werde "massiv in die Grundrechte eingegriffen", monierte die schleswig-holsteinische Datenschutzbeauftragte Marit Hansen. Aus den für zehn Wochen zu speichernden Verbindungsinformationen und den einen Monat lang aufzubewahrenden Standortdaten ließen sich "das soziale Beziehungsgeflecht einer Person und ihr Bewegungsprofil ableiten". Höchstrichterlichen Urteilen entspreche der Vorstoß so nicht.

"Schande für den Rechtsstaat"

Ex-Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger rügte die Entscheidung als "Schande für den Rechtsstaat", da "die anlasslose Massenüberwachung" wieder eingeführt werde. Die Liberale prophezeite: "Auch dieses Gesetz wird juristisch scheitern." Neben verschiedenen Organisationen und Parteien hat auch der Vize-FDP-Chef Wolfgang Kubicki Verfassungsbeschwerde angekündigt. Er stößt sich vor allem daran, dass sogar die Daten von Rechtsanwälten, Ärzten oder Journalisten erst einmal erfasst werden dürfen.

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Gesetz zur neuen Vorratsdatenspeicherung tritt in Kraft
« Antwort #476 am: 17 Dezember, 2015, 16:38 »
Das neue Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung tritt am Freitag, dem 18. Dezember offiziell in Kraft. Ab dann werden anlasslos Daten zur Kommunikation der Bundesbürger gespeichert. Der Bundesinnenminister ist zufrieden.

Am morgigen Freitag tritt das neuerliche Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung offiziell in Kraft. Das geht aus dem aktuellen Bundesgesetzblatt hervor, das am heutigen Donnerstag erschienen ist. Nach der Verabschiedung durch den Bundesrat Ende Oktober hatte der Bundesrat Anfang November seine Zustimmung zu der umstrittenen Überwachungsvorschrift gegeben.

Zugangsanbieter müssen nach einer Übergangsfrist von 18 Monaten Verbindungsinformationen ihrer Kunden zehn Wochen und Standortdaten einen Monat lang speichern. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) zeigte sich nun zufrieden und erklärte gegenüber der dpa, "mit dem ausgewogenen Gesetz geben wir unserer Polizei ein wichtiges Instrument für die Verbrechensbekämpfung".

Heftige Kritik

Die Opposition hat das Gesetz scharf kritisiert, unter anderem auch die ehemalige Bundesjustizministerin
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP). Die Vorratsdatenspeicherung öffne der totalen Überwachung Tür und Tor, befürchten deren Gegner. Bestätigt fühlen sie sich auch durch Bayerns Pläne, dem Verfassungsschutz Zugriff auf die gespeicherten Daten zu gewähren.

Die FDP hat bereits angekündigt, gegen das neue Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht klagen zu wollen. Das haben etwa auch die Datenschützer des Vereins Digitalcourage vor. Vorbereiten soll das der Berliner Anwalt Meinhard Starostik, der bereits die vormalige, 2007 in Kraft getretene Vorratsdatenspeicherung mit zu Fall gebracht hatte.

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Erste Verfassungsbeschwerde gegen neue Vorratsdatenspeicherung
« Antwort #477 am: 19 Dezember, 2015, 16:00 »
Eine Berliner Anwaltskanzlei hat am gleichen Tag, an dem das neue Gesetz zum anlasslosen Protokollieren von Nutzerspuren im Netz und im Mobilfunk in Kraft trat, bereits Klage dagegen in Karlsruhe erhoben. Weitere solche Initiativen sind geplant.

"Wir haben soeben gegen die in Kraft getretene Vorratsdatenspeicherung Verfassungsbeschwerde erhoben", teilten die Rechtsanwälte Carl Christian Müller und Sören Rößner von der Berliner Kanzlei MMR am Freitag mit. Sie klagten vor dem Bundesverfassungsgericht zum einen "in eigenem Namen und aus eigener Rechtsbetroffenheit als Berufsgeheimnisträger", da sie nicht ausreichend vor der heftig umstrittenen Überwachungsmaßnahmen geschützt seien. Der Initiative hätten sich aber auch zahlreiche weitere Betroffene angeschlossen.

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