Wir steuern auf die Entwicklung einer weltweiten Datentauschbörse zu, die dem Missbrauch von personenbezogenen Informationen Tür und Tor öffnet.
Während die europäische Polizeibehörde Europol vor einer erhöhten Terrorgefahr für Deutschland warnt, können einem ausgerechnet die Sicherheitsmaßnahmen der EU-Innenpolitik größere Sorgen bereiten. Im Kampf gegen "Gefährder" wollen die Regierungen immer mehr persönliche Informationen über ihre Bürger sammeln. Doch sie vergessen: Wer mehr Sicherheit durch intensive Überwachung will, muss zuallererst mehr Sicherheit vor Spionage gewährleisten.
Natürlich, die Innenpolitik steht unter Zugzwang. Moderne Kommunikationstechnologien ermöglichen blitzschnelle Absprachen quer über den Globus, lassen in Sekunden Millionen von Verbindungen entstehen und noch schneller wieder verschwinden. Alle rücken virtuell näher zusammen – auch Kriminelle. Die internationalen Strafverfolgungsbehörden müssen nachziehen, müssen ihre Ermittlungsmethoden aufrüsten, müssen sich stärker miteinander vernetzen. Mittlerweile ist die digitale Spurensuche für Polizisten und Geheimdienstler mindestens genau so wichtig wie Untersuchungen vor Ort, und weil es eine ständige Flut elektronischer Informationen gibt, verlangt deren Überwachung eine umfangreiche Speicherung.
Je mehr Datenbanken vorhanden und vernetzt sind, desto effektiver lassen sie sich per Rasterfahndung durchforsten, mit einem entscheidenden Vorteil: In den Datenhalden können sich Hinweise verbergen auf Verbrechen, die noch gar nicht begangen wurden. Man denke an Internet-Protokolle zu kriminellen Übereinkünften, an abgefangene Verschwörungspläne, an die Adressen von Mittelsmännern, wohlmöglich von Drahtziehern – einzelne Hinweise fügen sich zu einem konkreten Verdachtsmoment; Drogen-, Menschen-, Waffenhändler, insbesondere Attentäter könnten möglicherweise frühzeitig gestoppt werden.
Kurz: Eine Verbesserung der europäischen Strafverfolgung sowie -prävention ist wünschenswert. Nichtsdestotrotz: Die Überwachungsformen und -standards, welche die EU-Regierungen derzeit über die Köpfe ihrer Souveräne hinweg durchzusetzen versuchen, stinken zum Himmel! Genauer: Wir steuern auf die Entwicklung einer weltweiten Datentauschbörse zu, die dem Missbrauch von personenbezogenen Informationen Tür und Tor öffnet.
Eine wichtige Rolle spielt hierbei die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung, die im Mai 2006 in Kraft trat. Danach haben sich die Mitgliedsstaaten verpflichtet, alle Verkehrs- sowie Standortdaten, die bei der Telekommunikation (TK) anfallen, zu Fahndungszwecken auf mindestens sechs Monate zu speichern. Die Frist für die Umsetzung dieser Richtlinie in nationales Recht läuft am 15. September 2007 ab. Für Internetdienste darf sie bis zum 15. März 2009 aufgeschoben werden.
Bitte was! Vorratsdatenspeicherung? Will mich die Regierung jetzt ausspionieren?, mag man sich fragen. Glücklicherweise findet Justizministerin Brigitte Zypries beruhigende Worte: "Man muss sich zunächst mal klar machen, dass heute bereits die Daten der Telekommunikationsteilnehmer genau so gespeichert werden, nur zu Abrechnungszwecken, und dass auch dann, wenn ein richterlicher Beschluss vorliegt, auf diese Daten zugegriffen werden kann. Wir werden künftig die Speicherung aber nicht nur für 90 Tage haben, sondern für 180 Tage. Ansonsten ändert sich ja im Wesentlichen nichts."
Gott sei Dank. – Leider entspricht die Aussage nicht der Wahrheit: Bislang hielten die Telekommunikationsanbieter lediglich jene Verbindungsdaten fest, die sie zur Abrechnung benötigen. Im Falle eines Festnetztelefonats sind das die gewählten Rufnummern samt Gesprächszeitpunkt und Dauer. Nach dem neuen Telekommunikationsgesetz müssen die Provider darüber hinaus Namen und Adressen der Gesprächsteilnehmer speichern. Bei Gebrauch eines Handys wird außerdem der Standort erfasst. Beim Verschicken einer Mail sind Sendedatum, Absender- und Empfängerdaten betroffen. Beim Surfen im Internet, Dauer und Benutzerkennung – so dass sich rekonstruieren ließe, wann man welche Webseite besucht hat.
Warum versäumt es die Justizministerin, über diese Neuerungen zu informieren? Etwa weil sie unerheblich sind? Kann nicht sein. Mit den Änderungen verbinden sich – um mit dem geringsten Problem zu beginnen – erhebliche Kosten. Die TK-Branche stöhnt auf. Der Geschäftsführer des Lobbyisten-Verbands Bitkom schimpft:
Mehr... (http://www.heise.de/tp/r4/artikel/25/25901/1.html)
Quelle : www.heise.de
Die neue rechtliche Grundlage der EU wurde in Lissabon schneller beschlossen als erwartet
Stimmen gegen Zustimmung lautete das Motto auf dem Lissabonner EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag. Als Gegenleistung zur Erfüllung ihrer Forderungen sagten die "Quertreiber" in der 27er Runde Ja zum neuen Reformvertrag. Das Abkommen ist jedoch nichts anderes als die umetikettierte EU-Verfassung - mit all ihren Konsequenzen für Wirtschaft, Sozialpolitik und militaristischen Kurs der Europäischen Union.
José Socrates ist zufrieden. Portugals Premier strahlte auf dem Lissabonner EU-Gipfel, als sei die weitgehend konfliktfreie Absegnung der [extern] Reformverträge nur ihm zu verdanken. Dabei war es keineswegs der portugiesische EU-Ratspräsident, der die drei Störenfriede Lech Kazcynski, Gordon Brown und Romano Prodi zur Raison brachte. Sowohl Warschau als auch London und Rom hatten mit ihren Forderungen den Gipfel bis zuletzt zu einer Zitterpartie gemacht - wenngleich zumindest die polnische und die britische Regierung vor dem Treffen deutliches Entgegenkommen signalisiert hatten. Letztlich aber wurde den "Stänkerern" ihre Zustimmung zu den Reformverträgen abgekauft.
Großbritannien, Polen und Italien konnten ihre Forderungen durchsetzen
Vor allem London hat mit diesem Vorgehen reichlich Erfahrung. Seit 1984 Margaret Thatcher mit ihrem berühmten Kampfruf "I want my money back" und dem nachdrücklichen Handtasche-auf-den-Tisch-Schlagen den britischen Beitragsrabatt durchsetzte, hat sich Großbritannien für verschiedene unliebsame europäische Bestimmungen Ausstiegsklauseln reservieren lassen. Nahezu jeder EU-Haushalt, jedes wichtige Abkommen, jede zentrale Personalentscheidung musste der Londoner Regierung abgehandelt werden. Im Lissabonner Reformvertrag setzte Brown die britische Abstinenz für die ungeliebte justizielle und polizeiliche Zusammenarbeit sowie die Nichtzuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs in diesen Fragen durch. Auch die Sonderrolle bei der europäischen Sozialpolitik, aus der London ohnehin weitgehend ausgestiegen ist, pflegte der Nachfolger Tony Blairs. Die Grundrechtecharta, ohnehin ausgelagert und allein per Protokollvermerk mit einem bestimmten Maß an Rechtsverbindlichkeit versehen, soll für die Briten nicht gelten.
Ebenso wenig für Polen. Auch Warschau sind fixierte Bürgerrechte ein Dorn im Auge. Vermutlich liegen die polnischen Vorbehalte dabei aber weniger bei den sozialen Festlegungen - ohnehin ist die Charta in dieser Hinsicht nur dürftig ausgestattet -, sondern bei den politischen Grundfreiheiten. Bekanntlich werden im Polen der Gebrüder Kaczynski nicht nur sexuelle Minderheiten diskriminiert und teilweise sogar verfolgt, sondern demokratische Bürgerrechte mehr oder minder offen eingeschränkt. So liegt Polen auf der erst vor wenigen Tagen von "Reporter ohne Grenzen" veröffentlichten jüngsten Rangliste der Pressefreiheit auf Platz 56 - und damit an letzter Stelle in der EU. Insofern dürfte die Warschauer Regierung mit der faktischen Ausradierung der Grundrechtecharta aus dem Vertragstext zufrieden sein.
Gelöst hat sich auch der Konflikt um die beschnittene Stimmenzahl Polens im Ministerrat, dem eigentlichen EU-Entscheidungsgremium. Als "Kompensation" hatten die Kaczynskis auf die Fixierung des Ioannina-Mechanismusim Vertragstext gepocht. Die im griechischen Ioannina verabschiedete Regel sieht vor, dass Mehrheitsentscheidungen für eine "angemessene Zeit" auch dann blockiert werden können, wenn die notwendige Sperrminorität knapp verfehlt wird. Dass Polen mit der Forderung den Lissabon-Gipfel ernsthaft gefährdet, war aber nicht erwartet worden. Zwar sollte etwas Kraftmeierei die Chancen der Zwillinge bei den Wahlen in Polen am Wochenende erhöhen. Letztlich aber können die Kaczynskis den Bogen nicht überspannen. Einmal, weil die Zustimmung in Polen zur EU groß ist – nicht zuletzt wegen Summen, die Brüssel in das Land pumpt. Mit 67 Milliarden Euro von 2007 bis 2013 ist Polen größter Empfänger von Fördermitteln in der EU. Als weiteres Zuckerbrot gab es von Frankreich noch kurz vor dem Gipfel die Zusage für ein lukratives Wirtschafts- und Energieabkommen. Zum anderen kamen die restlichen EU-Staaten Warschau in Lissabon weiter entgegen. So ist die Ioannina-Regel zwar kein Vertragsbestandteil geworden, allerdings in ein Zusatzprotokoll aufgenommen worden. Auch Italien wurde in der portugiesischen Hauptstadt befriedigt. Ob Romano Prodi mit einem Sitz mehr im Europaparlament aber seine innenpolitisch angeschlagene Position verbessern kann, ist fraglich.
Der "Reformvertrag" hält an den strategischen Weichenstellungen fest, auch wenn es kleinere Veränderungen gibt
Dass die EU und die europäischen Regierungen auf die Forderungen eingegangen sind, ist nicht überraschend. Nachdem der europäische Verfassungsvertrag im Frühjahr 2005 in Frankreich und den Niederlanden durchgefallen, danach Monate auf Eis gelegt und auf dem Juni-Gipfel in Brüssel offiziell beerdigt worden war, konnte sich EU keinen weiteren Fehlschlag leisten. Und dies aus drei Gründen. Erstens ist eine Reformierung der EU tatsächlich dringend nötig. Selbst vehemente Gegner einer gesamteuropäischen Konstitution können nicht ignorieren, dass Institutionen und Mechanismen bereits seit Jahren kaum noch handlungsfähig sind.
Ein großer Teil der Undurchsichtigkeit und der ausufernden Bürokratie geht auf die ineffizienten Strukturen zurück. Dass das Regelwerk Staaten, Wirtschaft und deren Lobbyisten weitreichende Möglichkeiten der Einflussnahme auf Politik und "europäische Gesetze" gibt, ist bekannt und wird nicht zuletzt von solchen Organisationen wie Lobbycontrol mit schöner Regelmäßigkeit angeprangert.
Zweitens will die EU Handlungsfähigkeit beweisen. Nach der Schlappe mit der Verfassung, nach ständigen Reibereien um Stabilitäts- und Schuldenkriterien ist das Bild einer funktionierenden Gemeinschaft deutlich gestört. Drittens - und das ist das Entscheidenste - soll der Neoliberalismus in Europa festgeklopft werden. Dazu wurde der Verfassungsvertrag letztlich einfach neu aufgelegt. Schon der Reformgipfel im Juni, auf dem das Verhandlungsmandat erteilt wurde, hatte eher kosmetische Änderungen wie die Umbenennung des europäischen Außenministers beschlossen. Die strategischen Weichenstellungen bleiben allerdings erhalten. Zwar wurden einige Formulierungen der Verfassung nun entschärft, die Fixierung auf den "offenen Markt" bleibt aber ebenso erhalten wie das Primat der Wettbewerbsfähigkeit oder die starke und verselbständigte Rolle der Finanz- und Stabilitätspolitik. Verschärfungen gab es sogar bei den sicherheitspolitischen Festlegungen. Neben den bekannten Klauseln zur Aufrüstungsverpflichtung und zu internationalen Militäreinsätzen gibt es jetzt sogar einen Fonds, mit denen solche Missionen vorfinanziert werden können.
Natürlich existieren auch Neuerungen, die durchaus positiv gesehen werden können. Die Ausweitung der Mehrheitsentscheidungen (bei Einführung einer "doppelten Mehrheit" von Stimmen und Bevölkerungszahl) gehört dazu, auch die Möglichkeit von Bürgerbegehren. Dass diese allerdings eingeschränkt sind, entspricht der EU-Politik. So wollen die Regierungen Volksbefragungen zum neuen Reformvertrag (in Irland ist dies jedoch schon beschlossen) möglichst umgehen. Nicht zuletzt deshalb wurde die EU-Verfassung in einen angeblich "weniger gefährlichen" Reformvertrag umetikettiert.
Quelle : www.heise.de