Deutsche Behörden erwägen, künftig auch unter Folter erlangte Geständnisse vor Gericht zuzulassen.
Nach Angaben des Nachrichtenmagazins Der Spiegel (in der aktuellen Print-Ausgabe) zeichnet sich eine grundlegende Veränderung des deutschen Rechtsverständnisses ab. Zwar wird die Folter als solche in Deutschland verboten bleiben - jedoch wird ernsthaft erwogen, auch Geständnisse, bei denen klar ist, dass die Betroffenen sie unter Folter gemacht haben, vor Gericht als verbindlich zu erachten. Das könnte weitreichendere Folgen für den Rechtsstaat haben, als es zunächst den Anschein hat.
"Es geht auch um grundsätzliche Fragen: Darf sich das deutsche Rechtssystem für dubiose Quellen aus Ländern wie Pakistan und Usbekistan öffnen, in denen Folter und Unrecht an der Tagesordnung sind? Wie zuverlässig sind Aussagen, die durch Gewalt erzwungen wurden? Und darf ausgerechnet Deutschland, das wie kaum ein anderes Land die Menschenrechtsverletzungen der USA im "Krieg gegen den Terror" kritisiert hat, nun selbst auf Aussagen aus Folterkellern zurückgreifen? Lange waren Verhörergebnisse, die unter Zwang entstanden, für deutsche Strafverfolger tabu. [...] Die deutsche Justiz sollte, gerade in politischen Verfahren, nicht durch Methoden kompromittiert werden, die seit dem Untergang des Nationalsozialismus zu Recht geächtet sind", schreibt das Nachrichtenmagazin und zeigt damit die grundlegende Problematik auf - bisher geltende strenge Regeln sollen nun möglicherweise gelockert werden.
Auslöser für die aktuelle Diskussion ist, was niemanden überraschen dürfte, der islamistische Terror und dessen Bekämpfung. Im Rahmen dieser Problematik wird viel international kooperiert - auch mit Staaten, die es mit der Einhaltung der Menschenrechte nicht immer so genau nehmen. Das löst bei vielen Ermittlern und Politikern den Wunsch aus, auch deutsches Recht so anzupassen, dass Erkenntnisse aus diesen Ländern für Prozessse gegen mutmaßliche Terroristen herangezogen werden dürfen. "Durch ausländische Nachrichtendienste zur Verfügung gestellte Informationen bilden inzwischen den Regelfall. Für die deutsche Justiz gewinnen diese Beweise zunehmend an Bedeutung. Wenn Deutschland sich nicht international isolieren will, muss man auf diese neuen komplexen Anforderungen reagieren", ist sich beispielsweise Rainer Griesbaum, Leiter der Abteilung für Terrorismusbekämpfung bei der Bundesanwaltschaft, sicher. Er fordert, derartige Quellen aus "Problemstaaten" dürften "nicht in Bausch und Bogen als unrettbar bemakelt" verworfen werden.
Griesbaum setzt sich für eine Überprüfung der bisherigen Praxis des Beweisverwertungsverbots ein. Er ist für eine separate Prüfung. Nur, wenn im Einzelfall Folter konkret nachgewiesen werden kann, will er die erlangten Beweise nicht vor Gericht zulassen. Als Ausgangspunkt für polizeiliche Ermittlungen sollen selbst nachweislich erfolterte Geständnisse oder Hinweise genutzt werden dürfen.
Diese Position findet Anhänger - beispielsweise im Bundesjustizministerium. Allerdings gibt es auch Kritiker innerhalb der Bundesregierung. So warnt etwa SPD-Innenexperte Sebastian Edathy, es gäbe "eine rote Linie, die nicht überschritten werden darf" und betont, "dass Foltergeständnisse nicht in deutsche Gerichtssäle eingebracht werden dürfen". Zur Gefahrenabwehr allerdings, dieser Ansicht ist auch Edathy, sollen derartige Aussagen genutzt werden können. Auch die FDP-Abgeordnete Gisela Piltz ist der Ansicht, dass Foltergeständnisse tabu bleiben müssen. Diese vor Gericht zu verwenden, sei "unredlich und unverantwortlich", auch wenn man nicht selbst gefoltert habe. Sehr differenziert ist die Stellungnahme von Axel Filges, dem Präsidenten der Bundesrechtanwaltskammer. Er erklärt, dass "durch Folter erpresste Aussagen" in Deutschland "grundsätzlich unverwertbar" seien. Das gelte allerdings nur, wenn diese Misshandlungen auch nachweisbar seien. Aber: "Bei richtigem Rechtsstaatsverständnis" sollte der Grundsatz "im Zweifel für den Angeklagten" gelten, wenn Folter zwar wahrscheinlich und durch Anhaltspunkte belegt, aber nicht mit Sicherheit nachweisbar ist.
Ein ernstzunehmendes Problem findet in der Diskussion bisher nur wenig Beachtung: Folter ist kein rein ethisches und juristisches Problem. Aussagen, die unter Folter getroffen werden, sind notorisch unzuverlässig. Diese Erfahrung machten nach dem 11. September beispielsweise die US-amerikanischen Behörden, die kürzlich einräumen mussten, dass ihre Anwendung von Foltertechniken wie Waterboarding bei den Verhören Terrorverdächtiger bei Weitem nicht so effektiv war wie zunächst angenommen. In derartigen Verhören gemachte Aussagen waren oft entweder unwichtig, veraltet oder schlicht falsch. Es gibt bis heute keine Hinweise darauf, dass durch diese Verhöre auch nur ein einziger Terroranschlag verhindert wurde (gulli:news berichtete). Auch diese Erfahrungen seiner Verbündeten sollte Deutschland in die Diskussion um den Umgang mit Foltergeständnissen einbeziehen.
Quelle : www.gulli.com
Wolfgang Schäuble hat sich in der letzten Woche in zwei Zeitungen zur Wirtschaftskrise und der Terrorgefahr in Deutschland geäußert.
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) veröffentlichte am Donnerstag einen Text mit dem Titel "Ohne Maß ist die Freiheit der Ruin", in dem sich der Innenminister mit der Überwindung der Wirtschaftskrise auseinandersetzt. Am gleichen Tag erschien im Hamburger Abendblatt ein Interview mit Schäuble. Darin äußerte sich dieser auch zur Fortführung seiner Politik nach der Wahl.
(http://gulli.com/img/2009/cdu_plakat-remix.png)
Schon zu Anfang des Gespräches wiederholte der Innenminister, was sich in den letzten Jahren als Mantra seiner Politik erwiesen hat: "Deutschland liegt im Fadenkreuz des internationalen Terrorismus." Und das, obwohl er wenige Sätze vorher behauptet, dass es keine Erkenntnisse über konkrete Anschlagsplanungen gebe.
An seinen Gesetzen hält Schäuble eisern fest. "Die Große Koalition hat die Gesetze zur Terrorabwehr weiter verschärft - und sich dem Vorwurf ausgesetzt, sie opfere die Freiheit der Bürger...", setzt Jochen Gaubele vom Abendblatt zu einer Frage an. Der Innenminister unterbricht ihn schnell zu einer Korrektur: "Wir haben die Gesetze zur Terrorabwehr nicht verschärft, wir haben sie gemeinsam weiter verbessert".
Diese "Verbesserungen" wurden nicht nur vom Bundesverfassungsgericht in Frage gestellt. Doch Schäuble sieht darin offensichtlich keine Warnzeichen für zukünftige Gesetzesvorhaben. So will er die Befugnisse des Bundesverfassungsschutzes auf die Beobachtung der organisierten Kriminalität ausweiten. Für den Einsatz der Bundeswehr im Innern ist Schäuble sogar zur Grundgesetzänderung bereit.
Auch wenn seine Lieblingsgesetze gerne in Karlsruhe scheitern, in der Innenpolitik fühlt sich Schäuble sichtlich zu Hause. Aber auch zur Wirtschaftspolitik äußert sich der frühere Student der Wirtschaftswissenschaften - mit einem längeren Text in der FAZ.
Hier beschäftigt sich der Innenminister mit der Freiheit. Anders als gegenüber den Bürgern setzt sich die CDU mit ihrer neoliberalen Agenda üblicherweise gerne für wirtschaftliche Freiheiten ein, Schäuble allerdings drängt auf Regulierung: "Auch die immer weiter gehende Liberalisierung der Regularien für die Finanzindustrie war im Nachhinein betrachtet ein Fehler. Durch diese Entscheidungen wurden Freiräume geschaffen, die nicht verantwortlich genutzt wurden."
Schäuble schreibt viel über Soziale Marktwirtschaft, obwohl man diese bei der CDU häufig vor allem in Form der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft antrifft, zu deren erklärten Zielen die "Beschränkung des Staates auf seine 'Kernkompetenzen'" gehört. Der Innenminister dagegen schreibt: "Allerdings ist das, was wir bisher als Maximum an Freiheit in unserer Sozialen Marktwirtschaft für richtig hielten, korrekturbedürftig." Ein klarer Appell für einen starken Staat.
Was bei Schäuble erschreckend klingt, wenn er sich zur Innenpolitik äußert, bekommt in Bezug auf die Wirtschaft einen ganz anderen Klang: "Wenn wir wirtschaftliche Freiheit erhalten und Dynamik wiedergewinnen wollen, brauchen wir wirksame Vorkehrungen gegen einen exzessiven Gebrauch der Freiheit." Er äußert sich sogar kritisch zu den Überwachungsskandalen, die in der letzten Zeit mehr und mehr Unternehmen diskreditiert haben: "War der Nutzen, den bestimmte Unternehmen aus der Überwachung der Aktivitäten von Mitarbeitern gezogen haben, wirklich größer als der Verlust an Mitarbeitermotivation, Kundenbindung und öffentlichem Vertrauen?"
Diesen Worten aus dem Mund eines CDU-Politikers zu vertrauen wäre allerdings grob leichtsinnig. Hat nicht gerade erst Angela Merkel Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann zu einer elitären Geburtstagsfeier ins Kanzleramt eingeladen, einen Mann, der wie kaum einer für die Schattenseiten des Neoliberalismus steht? Schäubles Forderung nach mehr staatlicher Kontrolle wird die CDU mit Sicherheit im Innern, wohl kaum aber in der Wirtschaft nachkommen.
Dass er noch eine weitere Legislaturperiode lang Innenminister sein will, um eben das durchzusetzen, daran lässt Schäuble keinen Zweifel zu. Auf die Frage, ob es stimme, dass ihn nach der Wahl Kanzleramtsminister Thomas de Maizière beerben werde, antwortet er, "amtsmüde bin ich nicht".
Quelle : www.gulli.com